Tradition und Kultur

Marae Protokoll


 

Die 10 Schritte eines Pohiri / Powhiri
(Begrüßungs-Zeremonie)

Übertragung aus der englischen Sprache mit Maori-Begriffen
von Brigitte Spahr
Quelle: www.maori.org.nz


Marae "Ko Te Poho-O-Rawiri" (Rawiri = David) in Gisborne

Pohiri - Was ist das?

Pohiri (powhiri bei einigen Stämmen) ist die Begrüßungszeremonie. Sie nimmt das tapu (Tabu) von den Gästen und macht sie den Gastgebern gleich. Es ist ein schrittweiser Prozeß, in dem sich Gäste und Gastgeber näher kommen und eins werden.

Es gibt viele Variationen für ein Pohiri, hier wollen wir das volle 10-Punkte-Programm betrachten.

1. Ko Nga Tangata

Ohne Personen kann kein Pohiri stattfinden. (Es müssen mindestens vier Personen sein, zwei Männer und zwei Frauen. Eine Frau für die Einladung, das Marae zu betreten (Karanga) und ein Mann auf jeder Seite für die Rede (Mihi)).

Generell sind zwei Gruppen von Personen auf einem Marae anwesend:

  1. a) Ko Nga Tangata Whenua (Ortsansässige - wörtl.: die Menschen des Landes)

    Die Einheimischen, die durch Abstammung und neuerdings auch durch Auswahl (zugereist oder eingeheiratet) eine Beziehung zum Marae haben. Diese Rolle gibt ihnen das Recht, über alle Vorgänge auf dem Marae zu entscheiden, Funktionen und Rollen festzulegen und die Gastgeberrolle zu genießen. Es schreibt auch ihre Verantwortung und Verpflichtung Besuchern gegenüber vor. Sie haben die Aufgabe, alles für den Besuch vorzubereiten und sicherzustellen, daß sie gut bewirtet und betreut werden und grundsätzlich alles Mögliche zu tun, damit das Treffen ein Erfolg wird. Sie beteiligen sich an den Lebensmittelvorräten, besorgen Hilfskräfte für die Küche, den Speiseraum, das Versammlungshaus und die Außenanlagen und begrüßen die Gäste. Die Tangata Whenua können in Gruppen nach ihren vorgegebenen Rollen eingeteilt werden, die sich auch überschneiden können.

  1. b) Ko Nga Kaumatua (Die Ältesten)

    Es ist schwer zu erklären, wann ein Älterer im Vergleich zu einem Erwachsenen ein Ältester ist. Von Marae zu Marae unterschiedlich, vertreten einige die Maori-Kultur ( Maoritanga ) und andere sind Verfechter der Redekunst (Whaikorero). In einigen Distrikten , wo es wenige alte Leute gibt, übernimmt die Gruppe der jüngeren Männer und Frauen die Rolle der älteren. In anderen Gebieten, wo die Anzahl der Älteren größer ist, müssen die Jüngeren während der Begrüßungszeremonie abseits warten, wohingegen sie auf einem anderen Marae eine führende Rolle spielen könnten. Ihre Aufgabe ist, dem Marae vorzustehen, die Gäste zu begrüßen, sicherzustellen, daß die Prozedur streng eingehalten wird und insbesonders, ihr Wissen an die jungen Leute weiterzugeben. Sie sollen von der Gemeinschaft und den Großfamilien gewählt und nicht von sich aus tätig werden.

  1. c) Ko Nga Pakeke (Die Erwachsenen)

    Dieses sind die Personen, die das Rückgrat des Marae bilden. Sie sind diejenigen, die für Speisen und Getränke sorgen, die gewöhnlich die Arbeiten im Küchen- und Wirtschaftsbereich erledigen und die sicherstellen, daß das Anwesen ordentlich und sauber ist.

  1. d) Ko Nga Matatahi (Die jungen Leute)

    Ihre Aufgabe ist es, an der Versammlung tatkräftig teilzunehmen. Ihre wichtige Rolle besteht darin, in der Küche zu helfen, Tische zu decken, zu bedienen, abzuräumen und den Abwasch zu erledigen. Sie helfen auch bei der Begrüßungszeremonie, indem sie die Erwachsenen unterstützen.

  1. e) Ko Nga Tamariki (Die Kinder)

    In diesem Alter lernen die Kinder mit Hilfe der anderen drei Gruppen die Grenzen eines Marae kennen. Das ist die erste Stufe einer Ausbildung auf dem Marae.

  1. Ko Nga The Manuhiri (Die Besucher)

    Die Besucher bilden die zweite Hauptgruppe bei einer Marae-Zusammenkunft. Als Besucher lassen sie sich leiten von den Regeln und Gepflogenheiten des gastgebenden Marae, um eine Beleidigung zu vermeiden und um sich gegenseitig den Respekt zu erweisen, den Menschen vor einander haben. In Anbetracht der wechselseitigen Beziehungen einer Marae-Zusammenkunft und der Kosten, die solche Treffen nach sich ziehen, leisten die Gäste ihren Beitrag nicht nur im Befolgen der ortsüblichen Verhaltensweisen sondern auch in Form von Koha (Geschenk, heute meist Geldgeschenk).

2. Ko te Inoi (Gebet)

Maoris hatten immer einen festen Glauben. Vor dem Beginn einer Begrüßungszeremonie solle jede Seite ein Gebet sprechen und um Führung bitten, daß nichts schief geht. Normalerweise warten die Gäste am Tomokanga des Marae (Eingangstor), wobei die Frauen und Kinder eng von den Männern flankiert werden. Dies zeigt den Gastgebern an, daß sie bereit sind.

Die Gastgebergruppe wartet vor oder an der Seite des Marae. Um auszudrücken, daß die Gäste willkommen sind, sollten soviele Gastgeber wie möglich anwesend sein.

3. Ko te Wero (Herausforderung)

Wero bedeutet wörtlich, einen Speer handhaben. Der Grund ist herauszufinden, ob der Gast in Frieden oder in feindlicher Absicht kommt. Te Wero wird immer von einem Mann ausgeführt, der am besten mit Waffen umgehen kann, weil die Ehre und das Ansehen des Marae auf seinen Schultern ruht.

Bei einer vollständigen Zeremonie gibt es bis zu drei Herausforderungen, die dann von verschiedenen Männern ausgeführt werden.

Taki ist der Name des Objektes der Herausforderung, der vor den Gästen plaziert wird. Es kann ein Zweig sein, ein geschnitzter Gegenstand oder eine Waffe. Falls der Taki eine Waffe ist, muß die Person, die sie aufnimmt, aufpassen, daß sie sie nicht am Griff anfasst, weil dies den Gastgebern kriegerische Absichten anzeigen würde. Eine Herausforderung darf auch an eine Frau von hohem Rang gerichtet werden, der Taki muß aber immer von einem Mann aus ihrer Gruppe aufgehoben werden.

Diejenigen, die ausgewählt sind, Wero für ihr Marae oder ihren Stamm auszuführen, sollen sich der Auswirkungen einer Herausforderung bewußt sein, bevor sie daran teilnehmen. Die volle Bedeutung einer Herausforderung entstammt der traditionellen Notwendigkeit der Gastgeber, die Intensionen ihrer Gäste herauszufinden. Dies wird ohne jeden körperlichen Kontakt zwischen den Gastgebern und den Gästen erreicht, nur durch die spirituelle Kenntnis der Handlungen von Personen und ihrer Reaktionen.

4. Ko Te Karanga (Willkommensruf, Einladung)

Normalerweise ruft eine Frau von der Gastgeberseite (Kai Karanga) zuerst, um den Gästen anzuzeigen, daß sie sich auf das Marae (Platz vor dem Versammlungshaus) begeben sollen. Dies wird normalerweise von einer Frau der Gäste beantwortet (Kai Whakaatu). Der Sinn eines Karanga ist, ein gedankliches Seil zu weben, mit dem das Kanu der Gäste vorwärts gezogen werden kann. Das gegenseitige Rufen soll nicht unterbrochen werden, es soll fortlaufend sein, also eine Verpflechtung darstellen. Der Karanga hebt das Tapu des Versammlungsplatzes auf, um den Gästen eine sichere Passage zu erlauben.
(Eine Frau kann aus Gründen des Tapu diese Funktionen nicht erfüllen, wenn sie schwanger ist oder ihre Regel hat.)

Karanga ist nicht nur ein Ruf von einer Person zu anderen. Es ist ein spiritueller Ruf, der seit Generationen in Aotearoa gehört wurde, und er schafft das Medium, durch das die Lebenden und die Toten der Gäste den Raum durchqueren können, um sich mit den Lebenden und den Toten der Gastgeber zu vereinigen. Es kann auch ein Erkennungsruf der Gäste sein, um anzuzeigen, wo sie hergekommmen sind. Bei einem Begräbnis, wo eine Besuchergruppe der anderen folgt, ist dieses besonders wichtig.

Der Karanga weckt Emotionen und bringt die Erkenntnis, daß das, was gerade geschieht, nicht nur eine einfache Handlung beim Besuch des Marae ist - nicht nur wer körperlich anwesend ist zählt, sondern auch Verstorbene (seelich Anwesende = Wairua) sind zugegen. Die ganze Prozedur des Zusammentreffens basiert auf einer Tradition, die heute genauso bedeutungsvoll ist wie in der Vergangenheit.

Während der Gastgeber stehen bleibt, bewegen sich die Gäste auf die Mitte (Puku = wörtl. für Bauch) des Marae zu.

5. Haka Powhiri (Begrüßungstanz)

Nachdem durch den Wechselgesang ein virtuelles Seil geflochten wurde, wird mit dem Haka Pohiri dargestellt, wie das Kanu der Gäste hergezogen wird ("Toia mai te waka" = "Zieht das Kanu an Land" - ein häufig zu diesem Anlaß gesungenes altes Lied), damit ist der Haka Pohiri sehr oft ein Bestandteil der Begrüßungszeremonie. Bei Bestattungsfeierlichkeiten halten die Tänzer oft grüne Zweige in ihren Händen. Die Zweige sollten sorgfältig ausgesucht werden und eine helle und eine dunkle Seite haben, was Licht und Dunkelheit oder Leben und Tod darstellen soll. Die Blätter erinnern uns daran, daß Leben und Tod miteinander verwoben sind.

Der Begrüßungstanz symbolisiert für die Besuchergruppe eine sichere Landung ihres Kanus an der Küste mit allen Ruderern und Insassen. Das Kanu wird an einen sicheren Platz an die Küste heraufgezogen. Ebenso stellt der Gesang symbolisch das Seil dar, womit die Besucher sicher auf den Versammlungsplatz (Marae) gezogen werden. Solange es Versammlungshäuser und Menschen gibt, solange bindet und zieht das virtuelle Seil, das durch den Gesang repräsentiert wird, Menschen zusammen. Es taucht aus der Vergangenheit auf, erscheint in der Gegenwart und verschwindet in der Zukunft, um nachfolgenden Generationen zu dienen.

Sobald die Gäste in der Mitte des Platzes angekommen sind, halten sie inne und senken ihre Köpfe für zwei oder drei Minuten zur Erinnerung und zur Ehre der Verstorbenen. Sofort danach nehmen die Gäste auf ein Zeichen hin die bereitgestellten Stühle ein, wobei die Sprecher die vorderste Reihe besetzen.

6.Mihi (offizielle Rede)

Es gibt zwei Möglichkeiten, abhängig von der jeweiliegen Stammes-Region, wie die Ansprachen gehalten werden:

  1. Die Sprecher wechseln einander ab, beginnend mit einem Sprecher der Gastgeber, wobei immer auf jeden Gastredner einer der Gastgeber folgen muß. Dementsprechend beendet das Mihi ein Gastgeber.

  2. Alle Sprecher der Gastgeber halten ihre Ansprache und danach alle Sprecher der Gäste, doch auch hier spricht zum Schluß einer der Gastgeber.

7. Oriori - Waiata (kurzer offizieller Gesang)

Dieser Gesang soll die gesprochenen Worte unterstützen, sind also nicht nur Gesangsvorführungen. Manchmal sind sie Beiwerk und Verzierung für die Ansprachen. Sie sollen das Ansehen des Sprechers und seiner Gruppe wahren.

Jeder Beitrag und jedes Lied müssen sorgfältig ausgewählt werden, so sollten die Gäste niemals ein Lied vortragen, das die Worte "Haere Mai" enthält. Sie sind ein Willkommensgruß, und es steht den Gästen nicht zu, die Gastgeber zu begrüßen. Dies trifft auch auf andere Gelegenheiten zu, man würde auch kein fröhliches Lied zu einem traurigen Anlass und kein trauriges Lied zu einem fröhlichen Ereignis singen.

Heutzutage tendiert man zu modernen Melodien, die dann "Waiata " genannt werden. Jedoch bei Trauerfeierlichkeiten wird der kulturelle Reichtum der Maori besungen, indem man die Lebensabschnitte in traditioneller Weise beleuchtet.

8. Koha (Geschenk, Gabe)

Normalerweise übergibt der letzte Sprecher der Gäste ein Geschenk. Heute wird normalerweise Geld gegeben. Früher bestand das Geschenk aus Speisen und Getränken oder Delikatessen aus der Gegend. Wenn Lebensmittel gegeben wurden, durften sie aus Gründen des Tapu und Noa (Tabu und Aufhebung des Tabus) nicht auf dem Versammlungsplatz abgelegt werden. Heute dient das Geldgeschenk dazu, die anfallenden Kosten für Unterkunft, Beköstigung etc. zu minimieren, außerdem gibt man einen zusätzlichen Betrag für Verbesserungen, die die Gastgeber vielleicht an ihrem Marae vornehmen wollen.

Es ist normalerweise das Vorrecht der Gäste zu entscheiden, wieviel sie geben wollen. Eine Einschätzung kann auf Grund der Kosten für die Unterbringung der Gäste pro Tag und für die Dauer des Aufenthaltes vorgenommen werden. Für die Gäste ist es ebenfalls Pflicht, ein Koha hinzulegen, auch wenn der Besuch nur eine oder zwei Stunden dauert. Die wohlhabende Gesellschaft außerhalb des Marae ist nicht auf Liebe und Dankbarkeit gebaut und das Marae braucht finanzielle Hilfe, um weiter zu bestehen; nicht vergessen: auch zuviel ist nicht gut .....

Manche Gäste haben diese Punkte nicht berücksichtigt und demzufolge müssen die Gastgeber die Kosten aus eigener Tasche tragen. Um das Ansehen der Gäste und die Erinnerung an sie zu erhöhen, sollte die Einschätzung über die Höhe des Geldgeschenkes auf der sicheren Seite liegen.

Das Geldgeschenk wird in einem Umschlag vor den Gästen auf dem Versammlungsplatz niedergelegt. Dies ist der erste Kontakt beider Seiten. Um sicherzugehen, daß der Wind den Umschlag nicht wegwehen kann, sollten einige Münzen darin sein.

Ein Angehöriger des Marae wird den Umschlag aufnehmen, wobei er von einem Lied begleitet wird.

9. Hongi (Berührung von Nase und Stirn)

Dieser Brauch stammt vom Anbeginn der Zeit und ist ein symbolischer Verweis auf den ersten Atemzug des Lebens, der Hineahuone - dem ersten weiblichen, aus Lehm geformten Wesen - von Tane eingehaucht wurde. Er zeigt den beiden Gruppen an, daß sie unter dem Schirm der Begrüßungszeremonie vereinigt sind.

Nun ist es Zeit für die Gastgeber, die Gäste aufzufordern, einer nach dem anderen zum Händedruck und zum Hongi näherzutreten.

Es ist die Vermischung von Gastgebern und Gästen und der erste körperliche Kontakt.

10. Kai (Essen)

So wie die Höhe des Gastgeschenkes dient die Menge und Qualität des für die Gäste bereiteten Mahles dem Ansehen der Gastgeber. Ein Stamm, der am Meer lebt, wird gewöhnlich Kai Moana (Früchte des Meeres) auf den Tisch bringen, während ein Stamm vom Inland Spezialitäten aus seiner Region anbieten wird.

Dies ist die letzte Station der Begrüßungszeremonie. Das Teilen von Essen und das Teilnehmen am Gastmahl hebt das letzte Tapu der Zeremonie auf.

Wichtig: Wenn man mit dem Essen fertig ist, bleibt man nie länger am Tisch sitzen! Man macht Platz für die nächsten (auch wenn da vielleicht gar keiner mehr kommt) oder gibt den Gastgebern Gelegenheit zum Abräumen und Putzen.


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